Ab 28.6.2025 müssen digitale Produkte einfacher zugänglich für Menschen mit Behinderung sein - auch Websites / Online-Shops. Viele erfüllen diese Anforderung noch nicht. Ihnen entgehen aber nicht nur Umsätze, sie riskieren auch rechtliche Konsequenzen
Es ist so weit: Am 28. Juni 2025 tritt die europäische Barrierefreiheitsrichtlinie (European Accessibility Act, EAA) in Kraft! Diese bringt auch die weitreichende Änderungen für Betreiber von Websites und Online-Diensten mit sich - Österreich hat das nötige nationale Gesetz (Barrierefreiheitsgesetz - BaFG ) bereits am 19. Juni 2023 beschlossen. Ziel dieser Richtlinie ist es, die digitale Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und sicherzustellen, dass digitale Produkte und Dienstleistungen für alle zugänglich sind.
Die neuen Richtlinien verpflichten daher auch Website-Betreiber, ihre Online-Angebote so zu gestalten, dass sie für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nutzbar sind. Dies umfasst unter anderem die Bereitstellung von Informationen über mehrere sensorische Kanäle, wie beispielsweise schriftliche und auditive Inhalte. Websites müssen so gestaltet sein, dass sie ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.
Missachtung birgt Umsatzentgang und rechtliches Risiko
Nach einer Studie vom Sommer 2024 sind 9 von 10 aller Websites noch nicht barrierefrei, also für Menschen mit Behinderung nicht oder nur schlecht zugänglich. Dabei entgeht den Betreibern ein riesiges Kundenpotenzial: u.a. aufgrund der äter werdenen Gesellschaft haben allein in Deutschland über 12 Millionen Menschen eine Behinderung und sind zB. darauf angewiesen, ihr Onlinebanking mit der Tastatur bedienen oder im Onlineshop die Schriftgröße verändern zu können. Menschen mit sensorischen Beeinträchtigungen repräsentierten in der EU eine Kaufkraft von 2,3 Billionen Euro pro Jahr.
Die Einhaltung der neuen Richtlinien wird von den zuständigen Behörden überwacht und Verstöße können mit hohen Geldstrafen geahndet werden. In Amerika, wo ähnliche Vorschriften bereits länger gelten, gibt es Millionen-Klagen.
Keine Regel ohne Ausnahme: Wer nicht betroffen ist
Das Gesetz gilt nicht für
- reine Präsentations- oder Informationsseiten, auf denen Produkte oder Dienstleistungen nicht direkt erworben werden können (z.B. die Homepage einer Tischlerei, auf der nur die Leistungen und das Unternehmen präsentiert werden) - schon sobald aber ein Kontaktformular vorhanden ist, gilt die Site nicht mehr als reines Informationsangebot und fällt unter die EAA-Richtlinie,
- reine B2B-Webshops, die sich nicht an Endkonsumenten richten; allerdings: auch Unternehmen beschäftigen Menschen mit Behinderungen - warum will man diesen die Erfüllung ihrer Arbeit erschweren?
- Kleinstunternehmen die weniger als 10 Mitarbeiter beschäftigen UND einen Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme unter 2 Millionen Euro aufweisen, selbst wenn sie Dienstleistungen online anbieten oder erbringen (also zB. einen Webshop betreiben).
Zu bedenken ist aber: die Nicht-Einhaltung mag auf den ersten Blick kostengünstiger sein als die Nachrüstung oder der Relaunch der Website, aber die Anforderungen nützen in Wahrheit nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern ALLEN Website-Besuchern (man denke nur an die wachsende Zahl der älter werdenden Internetnutzer mit altersbedingten Sehbeeinträchtigungen) und sorgen nicht zuletzt für bessere Suchmaschinensichtbarkeit. Eigentlich sind das alles nur Vorteile. Es ist daher von der "freiwilligen" Einhaltung der Richtlinien, auch wenn man nicht verpflichtet wäre, ein kommerzieller Vorteil zu erwarten, der bald die nötigen Investitionen übersteigen sollte - vom Imageschaden durch ein Angebot, das kommuniziert "Dich, lieber farbenblinder Besucher, wollen/brauchen wir nicht als Kunden" einmal ganz abgesehen.
Was jetzt zu tun ist
Für Betreiber von Online-Shops, Buchungsportalen und anderen digitalen Dienstleistungen bedeutet dies, dass sie ihre Präsenzen entsprechend den kommenden Anforderungen anpassen müssen. Die notwendige Anpassung kann je nach Entwicklungsstand der Website zB. die Implementierung von Screenreader-kompatiblen Inhalten oder auch "nur" die Verbesserung der Navigation und die Bereitstellung von Alternativtexten für Bilder umfassen.
Die Richtlinie erwartet, soweit bis jetzt bekannt ist, die Erfüllung der WCAG 2.1 bzw. -2.2-Richtlinie auf Level AA der dreistufigen Skala. Studien ergaben, dass über 90% der auftretenden Probleme in nur 6 Kategorien zusammengefasst werden können, deren Behebung die meisten Websites für Betroffene besser nutzbar machen würde:
- zu geringer Kontrast (zB. bei Farbe und Größe des Lauftextes)
- fehlende oder irreführende Alternativtexte von Bildern und Icons
- fehlende Beschreibungen von Formularelementen
- fehlende oder nichtssagende Linkbeschreibungen ("Weiterlesen"...)
- fehlende oder nichtssagende Buttonbeschreibungen ("Klicken Sie hier"...)
- fehlende oder falsche Sprachdeklaration
Dazu kommen noch ein paar weitere wesentliche Problempunkte:
- fehlende oder fehlerhafte semantische Struktur (zB. Überschriften werden nur durch Schriftgröße/Farbe gekennzeichnet, statt als H1, H2 usw)
- fehlende Sichtbarkeit, wo sich der Fokus befindet
- unlogische Reihenfolge von Elementen bei Tatstaturnavigation (zB. in Formularen Anrede, PLZ, Straße, Vorname, Stadt, Nachname...)
- Informationen werden nur durch eine Eigenschaft kommuniziert (zB. Links sind nur farbig,, nicht aber auch unterstrichen)
Natürlich existieren noch eine Reihe weiterer Anforderungen - nicht umsonst umfasst die WCAG-Richtlinie insgesamt 87 Kriterien, anhand derer Barrierefreiheit überprüft wird. Doch die wenigen hier genannten decken bereits die größten Probleme ab, um Websites für behinderte Menschen besser und leichter nutzbar zu machen.
Website-Betreiber sollten sich jetzt rasch mit den Anforderungen vertraut machen und entsprechende Maßnahmen zur Anpassung ihrer digitalen Angebote ergreifen, denn es ist damit zu rechnen, dass bald nach Inkrafttreten der Richtlinie die übliche Abmahwelle durch das Internet geistern wird. Zu beachten ist dabei, dass nur ein Teil der Anforderungen "technisch" durch den Webdesigner oder die betreuende Agentur gelöst werden kann (zB. Kontrast, Fokus, Sprachdeklaration, Tastaturbedienbarkeit), viele genau so wichtige Anforderungen aber nur vom Betreiber selbst bzw. dessen Personal bei der täglichen Websitewartung erfüllt werden können (etwa semantische Dokumentenstruktur, ALT-Texte bei Bildern, sprechende Links usw). Entsprechende Schulungsangebote sollten daher unbedingt in Anspruch genommen werden!
WKO-Infos zum Barrierefreiheitsgesetz (BaFG)
Barrierefreiheit - was bedeuten die gesetzlichen Änderungen 2025?